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SCHULSTRASSE
Länder rätseln über Rechtsgrundlage
Ein Verkehrszeichen für Schulstraßen gibt es noch nicht. Trotzdem macht Nordrhein-Westfalen einen Vorschlag, wie Kommunen den Autoverkehr vor Schulen rechtssicher zeitweise aussperren können. Andere Bundesländer blicken skeptisch auf den Erlass. „Schulstraßen werden sich im gesamten Bundesgebiet verbreiten und Schulwege allerorts sicherer für Kinder machen“, freute sich Simone Kraus, Co-Initiatorin und Sprecherin des Aktionsbündnisses Kidical Mass vergangene Woche. Anlass für ihre Euphorie war ein Erlass des nordrhein-westfälischen Verkehrsministers OIiver Krischer (Grüne) zum Thema Schulstraßen. In dem Papier, das Background vorliegt, wird beschrieben, wie interessierte Kommunen Straßen vor Schulen zeitweise für den Autoverkehr sperren können. Wird der Vorstoß bundesweit Nachahmer finden?
In Städten wie Köln drohte vielen der im vergangenen Jahr testweise eingerichteten Schulstraßen bis Ostern der Rückbau, berichtete etwa der „Kölner Stadt-Anzeiger“. Denn bisher basieren deutsche Experimente mit dem Konzept Schulstraße in der Regel auf der sogenannten Erprobungsklausel der Straßenverkehrsordnung. Der Haken: Die Verkehrsversuche sollen die Dauer von einem Jahr nicht überschreiten. Der Erlass aus dem NRW-Verkehrsministerium soll eine dauerhafte Lösungaufzeigen, indem die erforderlichen Maßnahmen nach Straßen- und Straßenverkehrsrecht beschrieben werden.
NRW will für rechtssichere Schulstraßen sorgen
„Bislang bestand bei den Kommunen oftmals Unsicherheit, ob die Anordnung von Schulstraßen durch Verkehrszeichen mit dem geltenden Rechtsrahmen vereinbar ist“, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. Der neue Erlass solle für Klarheitsorgen und empfiehlt eine bestimmte Vorgehensweise. Zunächst solle eine sogenannte Teileinziehung der Straßen vorgenommen werden. Das sei notwendig, wenn der Kraftfahrzeugverkehr zu bestimmten Uhrzeiten beschränkt werden soll. Damit wird erst der Bestimmungszweck einer Straße verändert, bevor man die Regeln zur Nutzung der Straße anpasst. Der Vorteil laut Erlass: Wenn die Teileinziehung schon erfolgt sei, entfalle der Nachweis einer besonderen oder qualifizierten Gefahrenlage, um entsprechende Schilder für Durchfahrtsverbote aufstellen zu können. Dieser Nachweis ist sonst oft ein Problem. Bei den Schildern macht das NRW-Verkehrsministerium ebenfalls konkrete Vorschläge: Geeignet seien das „Verbot für Kraftfahrzeuge“ oder das „Verbot für Fahrzeuge aller Art“, wovon auch der Radverkehr betroffen wäre, jeweils mit Ergänzungen zu den relevanten Wochentagen und Uhrzeiten. Background hat bei den Verkehrsminister:innen der 15 anderen Bundesländer gefragt, wie sie den Vorstoß aus NRW beurteilen und ob sie Ähnliches planen. Die Reaktionen lassen sich grob in drei Positionenunterscheiden:
- Einige wollen ebenfalls für mehr Klarheitsorgen oder wollen die Auswirkungen des Erlasses aus NRW beobachten.
- Andere Bundesländer halten einen solchen Erlass für überflüssig.
- Drei Länder teilen mit, sie sehen kaum eine oder keine Möglichkeit, bei der derzeitigen Rechtslage Schulstraßen einzurichten.
Baden-Württemberg und Berlin arbeiten an Leitfäden
Zu den Bundesländern, die positiv auf den Erlass aus NRW blicken, gehört Baden-Württemberg. Das Verkehrsministerium teilt auf Anfrage mit, man arbeite selbst gerade an einer Handreichung für Kommunen, damit Schulstraßen an geeigneten Standorten „deutlich häufiger“ angeordnet würden. Schließlich könnten Schulstraßen schon heute auf Grundlage der geltenden Regelungen der Straßenverkehrsordnung (StVO) eingerichtet werden. Ähnlich äußert sich Berlin, wo die Zuständigkeit für die konkrete Einrichtung von Schulstraßen bei den Bezirken liegt.
„Das sich in der Erstellung befindliche Konzept zum Mobilitätsmanagement für Schulen und Kitas in Berlin sieht jedoch vor, die Bezirke mit einer Arbeitshilfe als Verfahrensgrundlage für die Einrichtung von temporären Schulstraßen zu unterstützen“, sagt eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Mobilität. Eine neue landesweite Regelung sei derzeit nicht geplant, die Handlungsgrundlage sei auch hier die StVO. Brandenburg sieht sich durch die Förderung von Elternhaltestellen an Schulen bereits gut aufgestellt. „Auf diesem Weg konnten bereits viele Gefahren des Fahrverkehrs vor Schulen effektiv entschärft werden“, antwortet das dortige Verkehrsministerium. Man nehme den Vorstoß aus NRW zum Anlass, den Bedarf nach weitergehenden Maßnahmen zu prüfen. Zunächst wolle man aber die Auswirkungen des Erlasses der Kolleg:innen abwarten. Grundsätzlich sei man offen für weitere Konzepte, die für mehr Verkehrssicherheit sorgen könnten. Aus Hessen heißt es, eine landesweite Regelung werde aktuell auf Fachebene geprüft. Einige Länder bezweifeln Notwendigkeit eines solchen Erlasses
Eine Reihe von Bundesländern hält einen Erlass wie in NRW für nicht notwendig, weil Schulstraßen bei ihnen schon jetzt möglich seien. In diese Richtung äußern sich Hamburg, das Saarland, Bayern und Sachsen. Die beiden letzteren antworten knapp, derartige Maßnahmen fielen in die Zuständigkeit der Behörden vor Ort. Die Hamburger Verkehrsbehörde teilt mit, die örtlichen Straßenverkehrsbehörden der Polizei könnten bereits jetzt im Einzelfall tätig werden, wenn es „aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich“ sei. Zwei Projekte würden bereits geplant oder umgesetzt.
Das saarländische Mobilitätsministerium erklärt, man unterstütze Kommunen gerne bei der Einrichtung von Schulstraßen, die rechtlichen Voraussetzungen seien bereits gegeben. Aber bisher gebe es keine Nachfrage: „Derzeit sind uns solche Initiativen im Saarland nicht bekannt.“ Im Gegensatz zu den genannten Bundesländern gehen andere Länder davon aus, dass Schulstraßen bei der bisherigen Rechtslage nicht möglich seien.
Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen sehen hohe Hürden
So nimmt Niedersachsens Verkehrsministerium an, dass die Hürden, Straßen zeitweise für den Autoverkehr zu sperren, zu hoch seien. In der „überwiegenden Anzahl der Fälle“ würden dieVoraussetzungen nicht erfüllt. „Insofern bedarf es keines Erlasses, da eine Teileinziehung auch durch das niedersächsische Straßenrecht möglich ist, allerdings nur in den wohl wenigen Fällen, in denen eine Fußgängerzone eingerichtet werden könnte“, erklärt ein Sprecher. Ebenfalls skeptisch ist man in Mecklenburg-Vorpommern. „Eine dauerhafte Anordnungsmöglichkeit für Sperrungen zu Beginn und Ende des Unterrichts ohne das Vorliegen einer qualifizierten Gefahrenlage sieht das Straßenverkehrsrecht nicht vor“, antwortet das Infrastrukturministerium in Schwerin. Der Erlass aus NRW greift allerdings genau diese Voraussetzung auf. Wenn die Teileinziehung der Straße vor dem Aufstellen des Schildes erfolge, entfalle der erforderliche Nachweis der besonderen oder qualifizierten Gefahrenlage.
Gutachten von Verbänden widerspricht zögernden Ländern
Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Infrastrukturminister Reinhard Meyer äußert zudem grundsätzliche Zweifel am Konzept. „Gesperrte Bereiche vor Schulen könnten zu einer Problemverlagerung führen, da die Fahrzeuge zukünftig am Rande des gesperrten Bereichs halten könnten“, befürchtet Meyer. Es müsse zunächst individuell geprüft werden, ob Schulstraßen für übersichtlichere Verhältnisse vorm Schultor sorgen könnten. Bremens Mobilitätssenatorin lässt nur mitteilen, die Einrichtung einer Schulstraße sei aktuell nicht vorgesehen. Es gebe dazu keine Rechtsgrundlage in der StVO.
Ein Gutachten im Auftrag des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), des Deutschen Kinderhilfswerks und des Kidical-Mass-Bündnisses kam im vergangenen Dezember zu einem anderen Ergebnis (Background berichtete). Das Straßenverkehrs- und Straßenrecht böten zahlreiche Möglichkeiten, den Autoverkehr vor Schulen zeitweise auszusperren. „Die zeitliche Beschränkung von Benutzungszeiten einer Straße per Widmung ist in den Straßengesetzen einiger Bundesländer sogar ausdrücklich vorgesehen“, heißt es darin.
„Rechtliche Hindernisse können also nicht mehr als Ausrede dienen, auf deren Einrichtung zur verzichten“, erklärte der VCD nach der Veröffentlichung. Es brauche nur den politischen Willen und das konsequente Handeln der Verwaltung. Trotzdem fordere man die Aufnahme des Konzepts in die Straßenverkehrsordnung nach dem Vorbild Österreichs. Damit kämen dann auch alle Bundesländer zur gleichen Rechtsauffassung, was vor Schulen möglich ist.